Stadtleben
Nikolas Tantsoukes - Traumerzählungen der Großstadt
Von Dr. Dr. Volker Gebhardt
PaperCollagen nennt der Künstler Nikolas Tantsoukes seine Arbeiten.
Sie entstehen in mehreren Schritten: In einem Auswahl - wie auch Verdichtungsprozess sucht er objets trouvés aus Zeitschriften und Magazinen, Foto- und Bildbänden, Werbematerial und Flyern zusammen. Hieraus - in oft monatelanger Lege- und Klebearbeit - entstehen seine Bilder.
Fragmente einer vorgefertigten und vorgefundenen Realität schaffen eine ganz neue Wirklichkeit, die dem Kunstwerk eigene. Nikolas Tantsoukes folgt darin dem Prinzip der Photocollagen, wie sie etwa George Grosz oder John Heartfield zum Ende des Ersten Weltkriegs entwickelt haben.
Die Themen der Collagen von Nikolas Tansoukes sind weit gespannt, sie reichen von verfremdeten Porträts bis hin zu Traumbildern, die am ehesten in der Tradition der Collagenbücher Max Ernsts stehen.
Ganz eigenständig sind die Stadtlandschaften, in die der Künstler seine Erzählungen einbettet. Werktitel wie "Der böse Onkel/Euch wird das Lachen schon vergehen" oder "...und sie war fest entschlossen, die Stadt für immer zu verlassen...", weisen dem Betrachter eine Richtung, jedoch ohne ihn zu bevormunden.
Allen Collagen gemeinsam ist der urbanistische Unraum, in dem sich die Geschichten und kleinen Katastrophen entfalten. Die grandiosen Stadträume, die Fritz Lang 1926 für seinen Film "Metropolis" aufbaute, sind für die darin lebenden Menschen inzwischen zum Alptraum geworden.
Die verschachtelten Architekturen der 1950-er bis 1970er Jahre schließen die Bildräume fest ab. Die Individuen müssen in diesem urbanistischen Unraum agieren, der sich zur negativen Utopie verfestigt. Kein Wunder, dass die Frau entschlossen ist, diese Stadt zu verlassen. Einziger Ausweg scheint oft nur die Flucht in den Himmel. Ein Ehemann entschwebt mit dem ironisch-bissigen Kommentar: "Huuui - und schon wieder ist der Herr Gemahl verschwunden, bevor das Essen auf dem Tisch steht..."
Die Stadtarchitektur hat eine ähnliche Funktion wie bei George Grosz in den 1920er Jahren. Was dort das quirlige Chaos der Metropole Berlin präzise beschreibt, wird bei Nikolas Tantsoukes zur Faktizität einer Großstadt aus lebensfeindlichen Schuhkartonhochhäusern umgedeutet, in der kafkaeske menschliche Wesen ihre wirren Geschichten durchleben.
Trotz aller Bissigkeit sind die Collagen durchaus sehr humorvoll, ein Witz der angesichts der bestürzenden Fülle des Geschehens aufatmen lässt. Und ganz wichtig:
Der Künstler gibt seinen aus verschiedenen Vorlagen collagierten Figuren eine überraschende melancholische Humanität. Eine Offenlegung, die mitfühlen lässt, ohne sich jedoch bösartig über diese gutmütigen Wesen der gesichtslosen Häuserwüste zu erheben. Der Betrachter versteht, wird aber nicht mit hinuntergerissen in die Tiefe.
Hier ist durchaus ein gemeinsamer Nenner mit den Großmeistern der klassischen Collage und Photomontage der Moderne zu spüren. Künstler wie Grosz, Heartfield oder Hannah Höch hatten den festen Vorsatz, der gesellschaftspolitischen Realität eine eigene künstlerische Welt entgegenzusetzen.
Die traumatische Erfahrung des Ersten Weltkriegs mit dem Massenschlachten in den Schützengräben von Ypern und Verdun, das Wachsen der Metropolen begleitet von Massenarbeitslosigkeit, der Herrschaft des Geldes und Gewalt setzte enorme Energien frei, sich kritisch mit der Position des Menschen zu beschäftigen. Die schillernde Welt der Großstädte mit Gewinnern und Verlierern, Flaneuren und Tätern wurde zum großen Themenkreis.
Mag das Werk von Nikolas Tantsoukes auch das politische Urteil meiden, unpolitisch ist sein Blick aufs Menschliche beileibe nicht. Haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seit DaDa geändert? Seine Konstruktion imaginärer Welt beschreibt präzise die Position des Individuums in den gegenwärtigen Metropolen des Westens.
Ein junger Künstler hat sich auf die Suche gemacht, nicht von ungefähr im alten und neuen Gewirre Berlins. Mit dem künstlerischen Mittel der Collage erfasst er prekäre Positionen von Miteinander und Gegeneinander, den vielen Hoffnungen und Fehlleitungen. Die Beiläufigkeit, mit der er seine Narration entfaltet und zuspitzt, gehört zum Verblüffenden der Arbeiten.
Der erhobene Blick mit dem Zeigefinger fehlt, und dies ist ausgesprochen sympathisch.